Das Problem der Autokephalie von
Landeskirchen ist eine der aktuellen zu diskutierenden Fragen, die auf
interorthodoxen Treffen besprochen wird. In diesem Lichte ist es
interessant und nützlich, sich mit der Wiederherstellung der
Autokephalie der Bulgarischen Kirche im 19. Jahrhundert als einem
prägenden Beispiel aus der Neuzeit vertraut zu machen.
Das
Problem der Autokephalie von Landeskirchen ist eine der aktuellen zu
diskutierenden Fragen, die auf interorthodoxen Treffen besprochen wird.
Es kann gesagt werden, dass wir Zeugen einer sehr schweren Geburt dieses
für alle Orthodoxen gültigen Herangehens an dieses Problem sind.[1]
Noch ist es zu früh, von Einverständnis und Einigkeit in diesem Punkt
zu sprechen. Nach wie vor wird die Autokephalie der Amerikanischen
Kirche, gewährt durch die Russische Kirche, von vielen Landeskirchen
nicht anerkannt. Andererseits rufen einige Handlungen des Ökumenischen
Patriarchats Ratlosigkeit und Protest bei der Russischen Orthodoxen
Kirche aus.
In
diesem Lichte ist es interessant und nützlich, sich mit der
Wiederherstellung der Autokephalie der Bulgarischen Kirche im 19.
Jahrhundert als einem prägenden Beispiel aus der Neuzeit vertraut zu
machen.
Die
Taufe Bulgariens fand im Jahr 865 statt. Unmittelbar nach diesem
Ereignis wandte sich der heilige Fürst Boris an Konstantinopel mit der
Bitte, in Bulgarien ein Patriarchat errichten zu dürfen. Dies wurde ihm
allerdings untersagt. Daraufhin wandte er sich an Rom, und nachdem er
auch dort keinen Erfolg gehabt hatte, wiederum an Konstantinopel.
Letztendlich wurde im Jahre 870 die Bulgarische Kirche gegründet, die
als Autonome Kirche zur Jurisdiktion von Konstantinopel gehörte.
Im
Laufe mehrere Jahrzehnte wurde Bulgarien im Ergebnis der Tätigkeit von
Schülern der heiligen Erleuchter Kyrill und Method zu einem Zentrum
slawischer Gelehrsamkeit.[2] Dies war von prinzipieller Bedeutung für die Festigung der inneren Autonomie der Bulgarischen Kirche.
In
der Bulgarischen Kirche wurde die Autokephalie mehrmals errichtet und
wieder abgeschafft. Zum ersten Mal wurde das Patriarchentum im Jahre 927
etabliert, nachdem zwischen der Byzanz und der Bulgarischen Kirche ein
Friedensvertrag geschlossen und Peter als bulgarischer Zar anerkannt
worden war, denn das Patriarchentum geht einher mit dem Zarentum. Doch
1018 wurde Bulgarien vom Byzantinischen Reich erobert, was die
Abschaffung des Bulgarischen Patriarchats zur Folge hatte.
Nichtsdestoweniger blieb die Autokephalie bestehen, und die Bulgarische
Kirche wurde fortan vom Erzbischof von Ochrid geleitet. Die Lage änderte
sich 1187 nach einer erfolgreichen Erhebung gegen Byzanz mit der
Gründung eines unabhängigen bulgarischen Staates mit Zentrum in Tarnowo.
Dort wurden zuerst ein Bistum und dann ein Erzbistum errichtet, und
1235 wurde auch das Bulgarische Patriarchat in Tarnowo wiedererrichtet,
das bis 1396 existierte.[3]
Nachdem Bulgarien von den Osmanen erobert worden war, wurde die
Bulgarische Kirche schnell Teil des Patriarchats von Konstantinopel.
Damit wurde nicht nur das Patriarchentum abgeschafft, sondern auch die
Autokephalie der Bulgarischen Kirche, die sie über viereinhalb
Jahrhunderte innegehabt hatte.[4]
Das formal unabhängige Erzbistum von Ochrid bestand zunächst fort,
wurde aber 1767 ebenfalls dem Ökumenischen Patriarchen untergeordnet.
Der
Zeitraum Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wird in Bulgarien
normalerweise als Zeit der nationalen Wiedergeburt bezeichnet. Zu
dieser Zeit nahm auch die Bewegung für die kirchliche Unabhängigkeit von
Konstantinopel ihren Anfang.[5]
Prämissen zur Autokephalie. „Bulgarische Wiedergeburt“
Nach
der Eroberung durch die Osmanen wurde Bulgarien nicht zufällig Teil des
Patriarchats von Konstantinopel, sondern als Folge der besonderen
Situation des Patriarchen von Konstantinopel und der griechischen
Geistlichkeit im Osmanischen Reich.
„Der Patriarch, der nach wie vor über die dieser Würde zustehende Macht verfügte, wurde nun zum Millet -Baschi – dem durch nichts beschränkten Zivilherrscher all seiner Glaubensgenossen.“[6] Alle Christen im Osmanischen Reich
wurden also dem Patriarchen von Konstantinopel unterordnet, der das
Recht hatte, über sie in Zivilsachen und sogar Kriminalfällen zu richten
sowie Kirchensteuer zu erheben. Der Patriarch und seine Bischöfe
führten die Aufsicht über die orthodoxe Christen und die für sie
zuständigen Polizeibehörden.[7]
Die
Bulgaren und andere orthodoxe slawische Völker gerieten also unter ein
doppeltes Joch: die andersgläubigen Osmanen und die griechische
Kirchenleitung.
Im
18. Jahrhundert lag das nationale Bewusstsein darnieder. Die
bulgarische Sprache wurde in den Städten kaum noch gesprochen, es gab
weder bulgarische Bücher noch Schulen. Die ereignisreiche Geschichte des
bulgarischen Volkes geriet in Vergessenheit.
Es
ist bezeichnend, dass das historische Andenken vor allem in
kirchlichen Kreisen bewahrt wurde und es eben kirchliche Aktivisten
waren, die jene gesellschaftliche Bewegung initiierten, welche später
als „bulgarische Renaissance“ bezeichnet wurde.
Es
ist bezeichnend, dass das historische Andenken eben in kirchlichen
Kreisen bewahrt wurde, und es eben kirchliche Aktivisten waren, die die
gesellschaftliche Bewegung initiierten, die später als „bulgarische
Renaissance“ bezeichnet wurde.
Diese Renaissance ging zurück auf den heiligen Paisios von Hilandar
(1722–1798; Gedenktag: 19. Juni / 2. Juli), einen Athos-Mönch aus
Mazedonien. Er war der erste bulgarische Historiograph. 1762 vollendete
er seine „Slawisch-Bulgarische Geschichte“, die er in bulgarischer
Umgangssprache verfasst hatte. Hellsichtig wandte er sich an sein Volk:
«О неразумный юроде! Защо се срамуваш да се наречеш българин и не четеш и
не говориш на своя език? Или българите не са имали царство и
господарство?»[8]
Patriarch
Kyrill von Bulgarien sagte über Paisios, er „sprach die Probleme der
Kirche und des Volkes an“. Er sprach von „ungerechter Gewalt“, welche
die Bulgaren von den griechischen Herrschern erlitten. Doch zeigte er
„keine Feindseligkeit gegenüber Griechen, sondern Betrübnis“ über die
damalige Situation.[9]
In
seinem Buch berichtete der Heilige Paisios über die historische
Vergangenheit Bulgariens, zeigt die Größe des bulgarischen Volkes, seine
hohe Kultur und seine frommen Traditionen. „Aber du, o Unvernünftiger,
warum schämst du dich für dein Volk und versuchst eine Fremdsprache zu
sprechen? Würde etwa ein Grieche seine Sprache und seine Lehre und sein
Volk wie du, Verrückter, vergessen? Nichts nutzen dir die griechische
Weise und Politik. Du, Bulgare, täusche dich nicht; kenne dein Volk und
deine Sprache, und studiere in deiner Sprache…“[10]
Die
Worte des heiligen Mönches Paisios wurden von anderen bulgarischen
Patrioten aufgegriffen. Man begann, seine Bücher in Bulgarisch zu
veröffentlichen, und es entstanden bulgarische Schulen. Allerdings wurde
die bulgarische Renaissance durch die griechische Renaissance
gehindert.
In
der zweiten Hälfte des 18. und dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts
gab es eine Reihe von russisch-türkischen Kriegen, aus denen Russland
jeweils siegreich hervorging. So gewann Russland umfangreiche
Territorien an der Schwarzmeerküste, darunter die Krim. Die russischen
Zaren erhielten schließlich das Patronat über alle in der Türkei
lebenden Christen. er Erfolg der russischen orthodoxen Armee inspirierte
die versklavten christlichen Völker der Balkan-Halbinsel zu Aufständen
und zum Kampf.
Griechenland
hatte in diesem Kampf Erfolg und wurde 1830 ein unabhängiger Staat. Die
Ideen des Hellenismus und die sogenannte „große griechische Idee“
begeisterten damals viele Menschen, darunter auch Bischöfe. Die
Entwicklung des Panhellenismus wurde stark vom sogenannten „griechischen
Projekt“ der Zarin Katharina der Großen beeinflusst, das die
Wiedererrichtung des Byzantinischen Reiches vorsah.[11]
Dieses Projekt zielte auf die vollständige Zurückdrängung der Osmanen
in Europa und sah als Erbfolger allein die Griechen an, da das
Byzantinische Reich als griechisch angesehen wurde. Doch führten die
Erfolge und Pläne der Griechen zu einer rasanten und erzwungenen
Hellenisierung, vor allem, da, wie bereits erwähnt, griechische
Hierarchen im Osmanischen Reich viele Privilegien genossen.
„Nachdem
Griechenland im Jahre 1830 als erstes Land auf dem Balkan den Status
eines unabhängigen Staates errungen hatte und sich mit dem Recht des
Schnelleren (und Stärkeren) beeilte, seine Großmachtanspüche
durchzusetzen, erkannten die Bulgaren die ernsthafte Gefahr der
Hellenisierung “, heißt es in einer modernen Publikation über dieses
Thema.[12]
1830
sehen viele bulgarische Forscher als Beginn des Kampfes um die
Bulgarische Kirche. Dieser Kampf scheint großen Schwung gehabt zu haben,
obwohl er anfangs vor allem von der gebildeten Minderheit getragen
wurde. Der bulgarische Wissenschaftler Petkow schreibt, die
„Materialisten“ seien nicht nur von einer negativen Einstellung
gegenüber dem griechischen Patriarchat von Konstantinopel, sondern auch,
in gewissem Umfang, von antireligiöser und antikirchlicher Stimmungen
geprägt gewesen.[13]
Das äußerte sich in einer breiten publizistischen Kampagne, derer
Zentralthese ein faktisch doppeldeutiges Postulat war: “Wir kämpfen für
die Kirche“, sagten die Urheber dieser Kampagne, deren Hauptstoßrichtung
politisch und auf die nationale Einheit ausgerichtet war, „aber ihre
spirituellen Funktionen halten wir für einen Anachronismus.“
Als
die bulgarische Bevölkerung Teil des Osmanischen Reiches war, gab es
außer der Kirche keine anderen Strukturen mit administrativen
Funktionen, welche das bulgarische Volk gegenüber den türkischen
Behörden hätten repräsentieren können; so war die Kirche eben die
Institution, die man als traditionelle und einigenden Kraft nutzen
wollte, da sie das einzige war, woran man sich anlehnen konnte.
„In
dieser Frage wird die zynische Berechnung des sich als intellektuell
verstehenden Publikum ersichtlich“, schließt Grischina, „die darauf
abzielte, die Kirche vor allem zu politischen Zwecken zu nutzen - also
zur langfristigen Vereinigung des Volkes, zur Schaffung der Grundlage
für eine politische Gesellschaft.“[14]
Das
weitere Schicksal der Kirche selbst als Einrichtung der Seelsorge für
die Orthodoxen interessierte die jungen Politiker kaum.
Es
ist nicht erstaunlich, dass es im Zeitraum von 1830 bis 1870 massive
Propaganda der Massenmedien gegen griechische Geistliche gab. Dabei
taten sich Georgi Rakowski, Dragan Zankow, Petko Slawejkow und andere
junge Schriftsteller und Publizisten hervor. „Zur Aufwiegelung des
Volkes (oder auch aus fehlender Kultur trotz des Rufes eines
Schriftstellers oder eines Mannes der Feder) schreckten sie nicht vor
groben Worten und destruktiven Obszönitäten zurück.“[15]
„Gedruckte
Schmähschriften, Entlarvungen finsterer Tätigkeiten des griechischen
Klerus, insbesondere von Erzbischöfen, Enthüllungen der schmutzigsten
Seiten der Geistlichen, die höchstwahrscheinlich in vielerlei Hinsicht
übertrieben waren, aber bei den Massen jedenfalls Hass und Verachtung
erregten, tauchten haufenweise in bulgarischen Zeitungen auf, die auf
Bulgarisch und Französisch veröffentlicht wurden.“[16]
Der
Kampf um die kirchliche Unabhängigkeit begann mit der Forderung nach
der Ersetzung des Griechischen als Gottesdienstsprache durch das
Kirchenslawische, die seit der ersten Hälfte der 1820er Jahre erhoben
wurde. In verschiedenen Orten gab es auch Versuche, griechische
Geistliche durch bulgarische Geistliche zu ersetzten.
Allmählich
gingen die Bulgaren von spontanen Auftritten, die durch zufällige
Ereignisse initiiert wurden, zu erwogenen und organisierten Aktionen
über, die langfristig positive Ergebnisse versprachen. Es wurden
Fürbitten an den Patriarchen von Konstantinopel und den Sultan –später
auch an den russischen Botschafter verfasst und eingebracht. Ein
ehemaliger Mitarbeiter der russischen Botschaft in Konstantinopel namens
Teplow berichtete, dass die Bulgaren 1853 zum ersten Mal eine Fürbitte
an den russischen Außerordentlichen Botschafter Fürst Menschikow
richteten, in der sie Gottesdienste in ihrer Muttersprache und Beistand
gegen die Unterdrückung durch die griechischen Bischöfe forderten.[17]
Dabei
hielt Teplow das Ökumenische Patriarchat, das es nicht vermochte, durch
rechtzeitige Zugeständnisse schlimmere Konsequenzen zu verhindern, für
den Hauptschuldigen der schnellen Eskalation des
griechisch-bulgarischen Konfliktes.
Die
Hohe Pforte, die bis dahin die Position Konstantinopels unterstützt
hatte, änderte in den 1850er Jahren ihr Vorgehen und die Richtung ihrer
Politik in kirchlichen Angelegenheiten der Ostkirchen.[18]
Im
Ergebnis des erfolglosen Krimkrieges verlor Russland sowohl seine
Autorität im Osten als auch seinen Einfluss auf die Politik des
Osmanischen Reiches. Diesen Einfluss übten nun westliche Staaten aus –
England und Frankreich. Am 18. Februar 1856 wurde auf Drängen der
westlichen Staaten das sogenannte hatti humayun
verabschiedet, nach dem Christen in ihren Rechten Muslimen
gleichgestellt wurden. Entsprechend diesem Dokument wurden Christen
verschiedener Konfessionen, die innerhalb der Türkei wohnten,
eingeladen, innerhalb einer gegebenen Frist Sonderausschüsse bzw.
-gremien einzurichten, um mit Wissen der Hohen Pforte und unter ihrer
Beobachtung „die ihnen zu verschiedenen Zeiten verliehenen Privilegien
zu prüfen und sie in Einklang mit dem Fortschritt und dem Geist der Zeit
zu bringen.“[19] Dieses hatti humayunund
die ihm entsprechenden, im November 1857 veröffentlichten Regeln über
die Einrichtung und Pflichten kirchlicher Volksversammlungen riefen
starke Proteste hervor, erzeugten große Verwirrung in den Köpfen und
bildeten den Auftakt zu großen Missverhältnissen im Patriarchat von
Konstantinopel.
Die
entschlossene Haltung der Bulgaren, die die Gründung eines eigenen
nationalen Episkopates erreichten und bald offen die Errichtung einer
vollkommen eigenständigen Bulgarischen Kirche anstrebten, wurde durch
die Transformationen und Wirren in der Patriarchie von Konstantinopel
begünstigt, die durch das von der türkischen Regierung erlassene hatti humayunausgelöst worden waren. Die Bulgaren begannen, die den Christen im hatti humayun verliehenen Rechte wahrzunehmen und damit ihre Stimme immer mutiger zu erheben.[20]
Bei
Markowa heißt es: „nach dem Krimkrieg erfasste der Kampf um die
kirchliche Unabhängigkeit buchstäblich das ganze Volk, auch die
bulgarische Bevölkerung in den Territorien Mysien, Thrakien und
Mazedonien sowie im Exil. Besonders engagierten Aktivisten waren die
bulgarische Emigranten in Russland und Rumänien sowie die bulgarische
Kolonie in Konstantinopel.“[21]
Eben
dieser bulgarischen Kolonie in Konstantinopel war es vergönnt, bei der
Wiedergeburt der Autokephalie der Bulgarischen Kirche eine Sonderrolle
zu spielen. Nach dem Ende des Krimkrieges wurde sie das eigentlich
leitende Zentrum der legalen nationalen Befreiung.
In
den Jahren des Patriarchentums von Kyrill VII. von Konstantinopel
(1855–1860) wurden mehrere Bischöfe bulgarischer Herkunft geweiht,
darunter so bekannte Aktivisten wie Ilarion (Stojanow), der 1850 mit dem
Titel „Bischof von Makariopolis“ Oberhaupt der bulgarischen Gemeinde
Konstantinopels wurde. Im Jahre 1859 wurde in Konstantinopel ein
bulgarisches Gotteshaus zu Ehren des hl. Zaren Stefan angelegt.
Doch
waren alle Zugeständnisse an die Bulgaren seitens der Patriarchie
verspätet und litten an Halbherzigkeit. Zum Beispiel wurden der
bulgarischen Kirche zu Ehren des hl. Stefan in Konstantinopel nicht
einmal die Rechte einer Gemeindekirche verliehen, und es wurde verboten,
ohne Sondergenehmigung darin Kasualien zu verrichten.
Diese
und viele andere vergleichbare Vorfälle führten zu zunehmender
gegenseitiger Entfremdung zwischen Bulgaren und Griechen. Die Lage
ähnelte einer Sackgasse, da keine der Parteien in ihren Forderungen
nachgeben wollte. Mehr noch: beide Parteien hatten in ihren Ansprüchen
gewissermaßen Recht.
Auch in der russischen Gesellschaft gabt es zu dieser Frage Meinungsverschiedenheiten.
Von
Juni 1858 bis August 1860 diente Archimandrit Peter (Troizkij) als
Vorsteher der Botschaftskirche in Konstantinopel. Vater Peter, der sich
an die kirchlich-kanonische Sichtweise hielt, „hatte hinsichtlich der
bulgarischen Ansprüche eher Sympathien für die griechische Hierarchie,
während der Gesandte und andere Mitglieder der russischen Botschaft und
der Mission in Konstantinopel hingegen auf Seiten der Bulgaren waren und
sie in ihrem Kampf gegen die griechische Hierarchie begünstigten.“[22]
In
seinen Briefen aus Konstantinopel nach St. Petersburg versuchte
Archimandrit Peter seine Sichtweise zu begründen. So schrieb er in
seinem Brief vom 8. November 1858 an den Oberprokurator desHeiligsten Synods, Graf Tolstoj:
„1.
Ganz Bulgarien, mit Ausnahme von vielleicht fünf bis höchstens sieben
von 50 Diözesen in Mazedonien, liest und hört das Wort Gottes – und
dabei nicht heimlich – in der kirchenslawischen Sprache, die ihnen
verwandt ist. Woher kommt denn der Gedanke, dass Griechischen Bulgaren
daran hindern dürften, den Gottesdienst in einer slawischen Sprache zu
verrichten?
2.
In ganz Bulgarien, mit wenigen Ausnahmen in den Städten und einigen
Orten (…), werden die Priester nach wie vor aus dem umwohnenden Volk
selbst gewählt, und zwar durch das Volk selbst, also durch seine
Ephoren. Der örtliche Bischof bestätigt lediglich die Wahl eines der
beiden ihm üblicherweise vorgestellten Bischofskandidaten.
3.
Früher wurden die würdigsten Bulgaren auf die höchsten hierarchischen
Stufen erhoben (…), und ganz zweifellos könnten sie auch jetzt erhoben
werden.“
Im Juni 1859 schrieb er an Graf Tolstoj wie folgt:
„All
diese Forderungen haben ich damals (im Herbst vorigen Jahres) Seiner
Heiligkeit und den vernünftigsten Mitgliedern des Heiligsten Synods
möglichst genau erklärt. Als aber der heilige Patriarch und Mitglieder
des Heiligsten Synods versprachen, (…) sie zu bewilligen und von mir
Anweisungen erbaten, wandte ich mich, nachdem ich den Bulgaren diesen
unausbleiblichen Wunsch der Obrigkeit verkündet hatte, an sie, um
Beweise für ihre Unterdrückung zu erhalten, und erst dann erfuhr ich,
dass ich von ihnen verraten worden war. Keiner der Bulgaren konnte mir
irgendetwas beweisen, oder wenigstens mich darauf hinweisen, wo so etwas
wie Unterdrückung stattgefunden haben sollte“[23]
„Ganz sicher sehe ich in der Gegenwart keinerlei Erniedrigungen der
bulgarischen Nationalität“, schreibt er in einem anderen Brief.[24]
Gegen Archimandrit Peter (Troizkij) opponierte Metropolit Philaret (Drozdow) von Moskau:
„Mir fiel die bittere Arbeit zu, auf dunkle Wolken im Orient hinzuweisen, wo Vater Peter nur das helle Licht sehen will.“[25]
„Nachdem er von den Bulgaren Nachweise verlangt hatte, sagte Vater
Peter: ‚Keiner wies mich darauf hin, wo so etwas ähnliches stattgefunden
hatte.‘ Wem ähnlich? Wovon sprechen Sie? Und etwas nicht nachzuweisen
bedeutet noch nicht, zu betrügen. Es ist nicht immer möglich,
bedrückende und erniedrigende Handlungen nach außen hin zu
dokumentieren. Mir wurde folgender Fall erzählt: in einer Stadt bat ein
reicher Bulgare den griechischen Bischof um die Genehmigung, ein
Schulhaus zu bauen, erhielt aber keine. Er wandte sich an die türkische
Regierung der Stadt, erbat die Erlaubnis zum Bau eines neuen Hauses, lud
den Bischof zu Einweihung ein, und nachdem der Bischof in einem Zimmer
die Einweihungsgebete verrichtet hatte, öffnete der Wirt auch die
anderen Zimmer, in denen sich die Schulutensilien befanden. Würden
Bulgaren diesen Fall als Beweis anführen, dass die Geistlichen sie daran
hindern, Schulen einzurichten, würde der Bischof entgegnen: ‚Das stimmt
nicht - ich war doch bei der Einweihung der Schule dabei.‘
Aber
der Beweis dafür, dass die Bulgaren erniedrigt werden, ist
offensichtlich: so wurde in Konstantinopel eine bulgarische Kirche mit
einem Bischof als Vorsteher errichtet, doch wurden ihr nicht die Rechte
einer Gemeindekirche zugestanden; und weil darin irgendwelche Kasualien
verrichtet wurden, wurden in dieser Kirche Gottesdienste verboten, und
zwar nicht durch den Patriarchen, sondern von seinem Synkellos.“[26]
Die
Unzufriedenheit mit den Griechen wuchs, und es wuchsen auch das Streben
nach kirchlicher Unabhängigkeit sowie die Forderungen an die
Patriarchie von Konstantinopel seitens der Bulgaren. Auf dem
Landeskonzil vom 1858 wurden die Anforderungen der Bulgaren erneut
abgelehnt. Zur selben Zeit fand die bulgarische nationale Erhebung
statt.
Die
Bulgaren, besonders die im Zentrum, in Konstantinopel, gerieten in
außergewöhnliche Begeisterung, die sicherlich auf dem Streben nach
nationaler Wiedergeburt beruhte. Das kirchliche Problem war in aller
Munde– nicht nur bei den Männern, sondern auch bei Frauen, sogar Mädchen
und beinahe Kindern. Das war, wie ein bulgarischer Zeitgenosse, der
diese Lage selbst erlebte, tatsächlich eine „Manie“, ein massenhafter
Wahn.[27]
Im
Grunde genommen, überschritten die Bulgaren ihren Rubikon im Jahre
1860, als Bischof Ilarion von Makariopolis in der bulgarischen Kirche
von Konstantinopel beim Ostergottesdienst auf Wunsch des versammelten
Volkes des Patriarchen von Konstantinopel nicht gedachte. Diese Aktion
der Gemeinde zu Konstantinopel wurde von der Mehrheit der Bulgaren
begrüßt und gutgeheißen. „33 Städte und Orte schickten an Ilarion
Dankesbriefe, wodurch sie bekundeten, dass sie sich den von ihm
ergriffenen Maßnahmen anschließen und sich weigern würden, des
Patriarchen während des Gottesdienstes zu gedenken.“[28]
Im
Lichte des hier erörterten Themas der kirchlichen Autokephalie ist dies
ein wesentliches und beachtenswertes Moment. Die Einmütigkeit zwischen
bulgarischem Volk, Klerus und Episkopat im Streben nach kirchlicher
Unabhängigkeit war dort vorhanden. Sicherlich kann solche Einmütigkeit,
aus kanonischer Sichtweise, als Anlass dienen, die Autokephalie zu
fordern; doch kann sie nicht als hinreichende Basis zur Verkündung der
Autokephalie betrachtet werden, wenn Einstimmung und Segnung der
Mutterkirche nicht vorliegen.
Nach
diesen Ereignissen folgten Jahrzehnte des bulgarischen Schismas, die es
eventuell nicht gegeben hätte, wenn die Patriarchie von Konstantinopel
damals auf die Meinung der Russischen Kirche gehört hätte, die
Metropolit Philaret (Drozdow) von Moskau äußerte:
„Aus
der Ferne fällt es schwer, genau zu sehen, aus welchen Elementen unsere
Kraft besteht, was möglich und was notwendig ist. Wäre Bulgarien das
Recht auf einen eigenen Metropoliten zugestanden worden,, mit dem
Recht, seinen Bezirk zu verwalten und darin Bischöfe zu ordinieren,
wobei dieser Metropolit, nach der Wahl durch die Bischöfe, durch den
Ökumenischen Patriarchen geweiht worden wäre, so dass er auf Konzilen
der Orthodoxen Kirche wie alle Patriarchen teilnehmen dürfte und damit
für seinen Bezirk auch das heilige Myron vom Ökumenischen Patriarchen
erhalten hätte, so wäre unter diesen Bedingungen der kirchliche Friede
wiederhergestellt worden, und eine derartige Trennung wäre ein Ausweg
ohne Bruch gewesen, der mit den alten Regeln und heutigen
Notwendigkeiten und Nutzen übereingestimmt hätte.“[29]
Doch reagierte Konstantinopel mit harten repressiven Maßnahmen: den bulgarischen Bischöfen wurden Kirchenstrafen auferlegt.
Es
ist noch zu erwähnen, dass nach dem Krimkrieg die katholische und die
protestantische Mission aktiv wurden, eine Folge des stärker gewordenen
Einflusses der westlichen Staaten in der Türkei. Auf Betreiben der
Katholiken gründete sich eine bulgarische Partei, die einen Appell an
den Papst für das beste Mittel zur Überwindung der für ihr Volk
schädlichen Jurisdiktion des griechischen Patriarchen hielt. Am 18.
Dezember 1860 wurde von einer bulgarischen Splittergruppe in
Konstantinopel versucht, im Namen des ganzen Volkes die Union zu
verkünden. Darunter waren Archimandriten, Priester und Diakone. Sie
ordinierten einen Sondererzbischof, der von der türkischen Regierung
anerkannt wurde.[30] Doch diese Union wurde vom bulgarischen Volk nicht akzeptiert.
(Abschluss folgt)
more in the other articles of the author in German
[1]Am 16. Dezember 2009 endete die Tagung der Interorthodoxen Vorbereitungskommission in Chambésy
(Schweiz). Die Tagungsteilnehmer hatten Dokumente entworfen, welche die
Verleihung der Autokephalie und der Autonomie an Orthodoxe Kirchen
regeln. S.: http://www.patriarchia.ru/db/text/966088.html
[2]S.: Флоря Б.Н., Турилов Б.Б., Иванов С.А. Судьбы кирилло-мефодиевской традиции после Кирилла и Мефодия. СПб., 2000.
[4]Трифонов Ю. Унищожаването
на Търновската Патриаршия и заменяването и с автономно
митрополитство-архиепископство // Сборник за народни умотворения, наука и
книжнина. 1906–1907. Т. 22–23. С. 1–40.
[5]Православная энциклопедия. Т.5. М., 2002. С. 621–642.
[6]Курганов Ф. Исторический очерк греко-болгарской распри // Православный собеседник. 1873. № 1.С. 30.
[7]Соколов И.И. Константинопольская
Церковь в XIX веке // История Православной Церкви в XIX веке.
Православный Восток [Репринт. История Христианской Церкви в XIX веке
Издание А.П. Лопухина. Том 2. Бесплатное приложение к журналу «Странник»
за 1901 г.]. М., 1998. С. 4.
[8][In deutscher Übersetzung: „O
du unverständiger dummer Narr! Warum schändest du dich, indem du dich
‚Bulgare‘ nennst, doch deine Sprache weder sprichst noch schreibst? Hatten die Bulgaren denn nicht einst ein großes und herrliches Reich?" Кирил, Патриарх Български. Българскато население в Македония в борбата за създаване на экзархията. София, 1971. С. 7.
[9]Паисий Хилендарски. Слаянобългарска история. София, 1963. С. 104–105. Цит. по: Лилуашвили К.С. Национально-освободительная борьба болгарского народа против фанариотского ига и Россия. Тбилиси, 1978. С. 24–25.
[10]Паисий Хилендарски. Слаянобългарска история. София, 1963. С. 104–105. Zit. nach: Лилуашвили К.С. Национально-освободительная борьба болгарского народа против фанариотского ига и Россия. Тбилиси, 1978. С. 24–25.
[11]Верюжский В.,
протоиерей. Происхождение греко-болгарского церковного вопроса и
болгарской схизмы // Журнал Московской Патриархии. 1948. № 11. С. 53.
[12]Гришина Р.П. Феномен
Болгарской Православной Церкви (1870–1940) // Человек на Балканах:
социокультурные измерения процесса модернизации на Балканах. СПб., 2007.
С. 226.
[13]Петков П. Православная
Церковь и государственная власть в княжестве Болгария. 1878–1896 //
Bulgarian Historical Review. Sofia, 2000. № 3–4. P. 73. Цит. по: Гришина Р.П.Феномен Болгарской Православной Церкви. С. 226.
[14]Diese Schlussfolgerungen bestätigt auch Markowa . S.: Маркова 3.Българското църковно-национално движение до Кримската война. София, 1976. С. 193.
[15]Гришина Р.П. Феномен Болгарской Православной Церкви. С. 226–227.
[16]Курганов Ф. Исторический очерк греко-болгарской распри // Православный собеседник. 1873. № 2. С. 189.
[17]Теплов В. Греко-болгарский церковный вопрос по неизданным источникам. СПб., 1889. С. 35.
[19]Ebenda. S. 161.
[20]Курганов Ф. Исторический очерк греко-болгарской распри // Православный собеседник. 1873. № 2. С. 189.
[21]Маркова 3. Българското църковно-национално движение до Кримската война. С. 195–196.
[22]П[етров] Н. Взгляд очевидца на греко-болгарскую распрю // Исторический вестник. 1886. Август. Т. 7. С. 275.
[23]Ebenda, S. 280–281.
[24]Ebenda, S. 282.
[25]Собрание
мнений и отзывов Филарета, митрополита Московского и Коломенского, по
делам Православной Церкви на Востоке. СПб., 1886. С. 185.
[26]Ebenda, S. 191–192.
[27]Верюжский В.,
протоиерей. Происхождение греко-болгарского церковного вопроса и
болгарской схизмы // Журнал Московской Патриархии. 1948. № 12. С. 41.
[28]Теплов В. Греко-болгарский церковный вопрос по неизданным источникам. С. 167.
[29]Собрание мнений и отзывов Филарета, митрополита Московского и Коломенского, по делам Православной Церкви на Востоке. С. 199–200.
[30]Стоянов-Бурмов Ф. Греко-болгарская распря в шестидесятых годах // Вестник Европы. 1888. Т. 5. Сентябрь. С. 59.