Mirian Gamrekelashvili, Doktorand an der Theologischen Fakultät Universität Eichstätt-Ingolstadt|RGOW, Nr. 11/2016: Panorthodoxes Konzil, pp. 20-21.|kreba2016.ge
Die Orthodoxe Kirche von Georgien lehnt
insbesondere das Ehedokument der Synode von Kreta ab und begründete so
ihre Nichtteilnahme am Konzil.
Bei der kurzfristigen Absage spielte jedoch auch die Orientierung am Verhalten der Russischen Orthodoxen Kirche eine wichtige Rolle. Erste Reaktionen auf die Beschlüsse von Kreta verheißen nichts Gutes und bergen die Gefahr, dass sich die Kirche innerhalb der orthodoxen Welt zunehmend selbst isoliert. – S. K.
Bei der kurzfristigen Absage spielte jedoch auch die Orientierung am Verhalten der Russischen Orthodoxen Kirche eine wichtige Rolle. Erste Reaktionen auf die Beschlüsse von Kreta verheißen nichts Gutes und bergen die Gefahr, dass sich die Kirche innerhalb der orthodoxen Welt zunehmend selbst isoliert. – S. K.
Bei der Beantwortung der Frage, warum die Georgische Orthodoxe Kirche
(GOK) nicht an der Synode auf Kreta teilgenommen hat, gilt es mehrere
Faktoren zu berücksichtigen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die
Vorstellung georgischer Geistlicher, Hüter der Orthodoxie zu sein, die
in ihrer reinen Form nur in Georgien bewahrt werde und die durch die
Veränderungen der modernen Welt gefährdet sei. Nachdem die GOK 1997 den
Ökumenischen Rat der Kirchen verlassen hat,[1]
wird diese Selbstwahrnehmung täglich stärker. Aufgrund der andauernden
politischen Instabilität im Land verstehen sich die Hierarchen der GOK
nicht nur als religiöse, sondern auch als politische Akteure. Vor diesem
Hintergrund konnten ihnen kirchenpolitische Fragen im Zusammenhang mit
dem Konzil auf Kreta[2]
nicht gleichgültig sein. Entscheidend war vor allem die Position der
Russischen Orthodoxen Kirche (ROK), mit der sich die GOK stark verbunden
fühlt.
Russische Einflussnahme
An seiner Sitzung am 25. Mai 2016 beschloss der Hl. Synod der GOK, dass die georgische Delegation am Konzil teilnimmt.[3]
Es wurde jedoch auch eine Liste mit Anmerkungen und Änderungen zu den
konziliaren Textvorlagen erarbeitet und der vorbereitenden Kommission
des Konzils geschickt, damit diese berücksichtigt würden. Auch die
Bischöfe, die nach Kreta fahren sollten, waren schon bestimmt. Kurz
danach zeichnete sich jedoch hinter den Kulissen ab, dass die ROK nicht
am Konzil teilnehmen würde. Daher wurde für den 10. Juni eine neuerliche
Sitzung des Hl. Synods anberaumt.[4]
Bereits einen Tag zuvor hatten sich 13 Theologen in einem offenen Brief
an den Hl. Synod gewandt und gebeten, dass die GOK ihre Teilnahme am
Konzil auf Kreta nicht absagt.[5]
Aber es war zu spät, die Entscheidung war schon im Vorfeld gefallen und
vom Hl. Synod wurde die Nichtteilnahme der GOK lediglich bestätigt.
Obwohl nicht alle Bischöfe mit diesem Beschluss einverstanden waren,[6]
hat die Mehrheit dennoch zugestimmt. Daraufhin wandte sich
Katholikos-Patriarch Ilia II. in einem offenen Brief an das Patriarchat
von Konstantinopel und verlangte, das Konzil unbedingt zu verschieben.
Ob diese Entscheidung von der ROK diktiert worden ist oder nicht, ist
umstritten. Sicher ist jedoch, dass die GOK die Positionen ihres
nördlichen Nachbarn aufgrund mehrerer Faktoren nicht unberücksichtigt
lassen kann. Dazu müssen wir auf die Geschichte zurückblicken, denn erst
vor diesem Hintergrund wird die Spannung zwischen Konstantinopel und
Moskau einigermaßen nachvollziehbar. Nach dem Fall von Byzanz 1453 und
der Ausdehnung des Großfürstentums Moskau entstand eine Rivalität
zwischen den beiden kirchlichen Zentren. Diese Auseinandersetzung kann
als Streit über das „Zentrum der Orthodoxie“ bezeichnet werden. In
klassischer Form wurde diese Rivalität von dem Mönch Filofej
(Philotheos) von Pskov (1465–1542) ausgedrückt: Das erste Rom hätten die
Barbaren niedergerungen, auch das zweite sei gefallen und nun sei die
Zeit für Moskau als drittes Rom und damit auch als Zentrum der
Orthodoxie gekommen. Diese, auf den ersten Blick naive Konzeption wurde
später oftmals als Teil einer geopolitischen Strategie wahrgenommen und
umzusetzen versucht. 1948 wurden unter Stalin alle orthodoxen Kirchen
zum 500-Jahr-Jubiläum der Autokephalie der ROK nach Moskau eingeladen;
dieses Treffen sollte letztlich dazu dienen, den Einflussbereich der
Sowjetunion zu vergrößern. Dies scheiterte allerdings an den
„griechischen Patriarchen“, die nicht nach Moskau kamen. Aber diese, in
sowjetischer Zeit unerfüllten Ambitionen sind nicht verschwunden,
sondern leben im heutigen Russland weiter. So war es kein Zufall, dass
der russische Präsident Vladimir Putin kurz vor Beginn des Konzils auf
Kreta den Berg Athos besucht hat (s. RGOW 6-7/2016, S. 4). Die Mönche
platzierten Putin bei der Liturgie an die Stelle der byzantinischen
Kaiser und erkannten ihn damit symbolisch als Schützer der Orthodoxie
an. Auch die Interpretation des Glaubens ist zwischen Konstantinopel und
Moskau nicht identisch. Dazu sind sich beide Kirchen uneins, wer unter
welchen Umständen eine orthodoxe Lokalkirche als autokephal erklären
darf. Am akutesten ist in dieser Hinsicht die Situation in der Ukraine,
wo neben der Ukrainischen Orthodoxen Kirche–Moskauer Patriarchat zwei
kanonisch nicht anerkannte Kirchen existieren (Ukrainische Autokephale
Orthodoxe Kirche und Ukrainische Orthodoxe Kirche–Kiewer Patriarchat).
Letztere hat sich 1992 vom Moskauer Patriarchat getrennt und versucht
seitdem, die Autokephalie zu erlangen. Die ROK konnte gegenüber
Patriarch Bartholomaios durchsetzen, dass die Ukraine-Frage nicht auf
der Tagesordnung des Konzils steht (s. RGOW 2/2016, S. 16). Sie hatte
aber Angst, dass diese im Laufe des Konzils doch noch auftauchen würde.
Auf dieser offenen Plattform wäre es dann sehr schwierig gewesen, die
Frage der Kirchenstrukturen in der Ukraine im Sinne Moskaus zu lösen.
Von daher war absehbar, dass die ROK das Konzil boykottieren würde.
Um aber nicht als Buhmann dazustehen, war die Unterstützung
derjenigen Kirchen vonnöten, die sich mit der ROK „gut verstehen“. So
haben letztendlich das Patriarchat von Antiochien sowie die Bulgarische
und Georgische Orthodoxe Kirche ihre Teilnahme am Konzil in letzter
Minute abgesagt. Wenn man über den Einfluss Russlands spricht, soll man
sich diesen nicht so vorstellen, dass jemand im Kreml am Telefon sitzt
und den georgischen Geistlichen Anweisungen erteilt. Vielmehr geht es um
komplizierte informelle Strukturen, die vor allem im kulturellen
Bereich und in der Denkweise wirksam sind. Eine entscheidende Rolle
spielt auch der Informationskrieg Russlands. Zudem sind die in Russland
ausgebildeten Hierarchen in dieser Problematik häufig nicht neutral.
Streit um das Ehe-Dokument
Wenn man ehrlich ist, beinhalteten die Dokumente des Konzils von
Anfang an nichts Revolutionäres oder etwas, was der Orthodoxie gänzlich
fremd wäre. Es gab jedoch einen Punkt in den Konzilsvorlagen, mit dem
die GOK nicht nur nicht einverstanden war, sondern den sie bis heute
kategorisch ablehnt. Dabei geht um das Dokument: „Das Sakrament der Ehe und seine Hindernisse“.
Zum besseren Verständnis muss betont werden, dass von georgischer Seite
an der Vorbereitung des Konzils nicht Theologen, sondern vor allem
diejenigen Hierarchen teilnahmen, die keine akademische theologische
Ausbildung besitzen. Als Berater wurden einige Mönche ausgewählt, die
auf dem Berg Athos gelebt haben und somit der griechischen Sprache
mächtig sind. Am lautstärksten äußerte sich jedoch eine Gruppe von
Ultraorthodoxen, die für ihre fundamentalistischen und
isolationistischen Ansichten bekannt ist.[7]
Für diese Gruppierung ist jeder, der nicht orthodox ist, zur Verdammnis
bestimmt und kein vollwertiger Mensch. Ihrer Ansicht nach dürfen
Christen sogar Andersgläubige und Homosexuelle erschlagen. Für sie ist
auch Patriarch Bartholomaios ein Erzhäretiker, weil er freundschaftliche
Beziehungen mit der katholischen Kirche aufzubauen versucht. Auch die
Idee des Konzils war für sie ein apokalyptisches Vorzeichen, so dass
diese Gruppe schon im Vorfeld dagegen Stellung bezog: Sollte es
stattfinden, würden die Menschen nicht von Plagen und schwerer Last
befreit werden und zur Ruhe kommen (Mt 11, 28), sondern das Konzil würde
repressive und belastende Folgen für die Gläubigen haben.
Bei der Vorbereitungsarbeit zum Dokument über das Ehesakrament ging
es um die Frage, ob es erlaubt ist, das Ehesakrament zu spenden, wenn
ein Gläubiger einen Nicht-Orthodoxen und gar einen Nicht-Christen
heiratet. Die Frage war auf dem IV. und VI. Ökumenischen Konzil streng
reguliert worden. Als sich das Christentum im Laufe der Geschichte
weltweit ausbreitete, haben lokale Synoden die strikte Regelung mit dem
Prinzip der Oikonomia etwas entschärft. Aber in Georgien kam es zu einer
gegenteiligen Entwicklung: Weil der georgische König David der Erbauer
(1073–1125) das Land Byzanz annähern wollte, wurde auf dem lokalen
Konzil in Ruiss-Urbnissi 1105 beschlossen, Mischehen zu verbieten, um
somit die GOK eindeutig von der Armenischen Apostolischen Kirche
abzugrenzen. Diese historische Erfahrung wurde von georgischen
Geistlichen beim Vorbereitungsprozess zum Ehedokument angeführt, um
gegen die Einführung von Mischehen zu protestieren. Das Konzil auf Kreta
hat dennoch das Ehedokument verabschiedet, dabei aber die Bedenken der
GOK berücksichtigt. Letztendlich bleibt die Entscheidung, eine
konfessionsverschiedene Ehe zu erlauben, den einzelnen Lokalkirchen
überlassen.[8]
Erste Beurteilungen des Konzils
Bisher hat noch keine offizielle Beurteilung des Konzils durch die
GOK stattgefunden. Angeblich will man abwarten, welche Position die ROK
bezieht. Diese schweigt aber bis jetzt. Immerhin geben einige Ereignisse
Hinweise darauf, wie das Konzil von Vertretern der GOK wahrgenommen
wird: Erwähnt sei eine Versammlung von Geistlichen der Eparchie
Schemokmedi, die am 11. August 2016 in der Stadt Ozurgeti tagte.[9]
Metropolit Iosebi (Kikvadze) ging dabei auch auf das Konzil ein, das
seiner Ansicht nach mit Unstimmigkeiten abgelaufen sei – insbesondere,
weil das Konzil die Vorschläge der GOK und anderer autokephaler Kirchen
abgelehnt habe. Er danke Gott dafür, dass die GOK nicht teilgenommen
habe, denn das Konzil rufe die orthodoxen Gläubigen dazu auf, sich mit
Andersgläubigen zu einigen. Somit lehne es die sieben Ökumenischen
Konzile ab und alle Dogmen, die an diesen Konzilen festgeschrieben
wurden. Der Aufruf der Christen zur Einheit sei zugleich der Aufruf zur
Unterwerfung unter den Antichrist. In diesem Sinne sei auch das
grundlegende Dogma abgeschafft worden, dass die Orthodoxe Kirche die
einzig wahre Kirche ist und Jesus Christus ihr Haupt, so Metropolit
Iosebi. Von Seiten des georgischen Patriarchats wurde nicht auf diese
lokale Bewertung des Konzils reagiert. Vom 25 bis. 28. Juli 2019 empfing
das Patriarchat jedoch eine Delegation aus Griechenland, darunter auch
die beiden Professoren Theodoros Zisis und Demetrios Tselengidis von der
Universität Thessaloniki, die für antiökumenische Positionen bekannt
sind.[10] Die Gäste bedankten sich beim Patriarch für die Position der GOK und tauschten ihre Ansichten über das Konzil aus.
Schließlich lässt sich feststellen, dass das Konzil von Kreta die
Kluft zwischen der GOK und anderen orthodoxen Kirchen hinsichtlich der
Denkweise, Selbstwahrnehmung und des Glaubensverständnisses vertieft
hat. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, droht der GOK Isolierung und
im schlimmsten Fall ein zwar nicht offizielles, aber faktisches Schisma
von der Gesamtorthodoxie. Bleibt man aber hoffungsvoll, so steht zu
vermuten, dass die GOK die Dokumente der Orthodoxen Synode von Kreta
ratifiziert und sich entsprechend neu positioniert.
Anmerkungen
[1] Thöle, Reinhard: Erdbeben für die Ökumene aus dem Kaukasus?. In: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 48, 4 (1997), S. 72-74.
[2] Über den Rang und die Benennung der Versammlung auf Kreta wurde und wird viel diskutiert; offiziell heißt sie: „Heilige und Große Synode der Orthodoxen Kirche (griech. Ἁγία καὶ Μεγάλη Συνόδου τῆς Ὀρθοδόξου Ἐκκλησίας). Der Einfachheit halber verwende ich die kurze Bezeichnung „Konzil“.
[3] http://patriarchate.ge/geo/minutes-of-the-session-of/.
[4] http://patriarchate.ge/geo/the-decree-of-the-holy/.
[5] Open Letter of Georgian theologians to the holy synod of Orthodox Church of Georgia: Support the Holy and Great Council!: https://www.orthodoxcouncil.org/-/open-letter-of-georgian-theologians-to-the-holy-synod-of-orthodox-church-of-georgia-support-the-holy-and-great-council-?inheritRedirect=true.
[6] Vgl. die Rede von Bischof Grigol (Katsia) von Agarak-Tsalka vor dem Hl. Synod, http://www.kreba2016.ge/2016/06/12/die-anrede-des-bischofs-grigol-uber-die-grose-und-heilige-panorthodoxe-synode/.
[7] Franziskus in Georgien. Papst predigt vor leeren Rängen, http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/franziskus-papst-predigt-in-georgien-vor-leeren-raengen-a-1114878.html.
[8] Das Sakrament der Ehe und seine Hindernisse. In: Hallensleben, Barbara (Hg.): Einheit in Synodalität. Die offiziellen Dokumente der Orthodoxen Synode auf Kreta 18. bis 26. Juni 2016. Münster 2016, S.62-66.
[9] https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1028060670646569&id=100003279363590.
[10] https://orthodoxethos.com/post/ecclesiastical-delegation-from-greece-meets-patriarch-and-hierarchs-of-the-church-of-georgia.